Carola Bauckholt und Christina Kubisch erforschen unerhörte Klänge

Für Carola Bauckholt (1959) ist ein rostiges Schild oder ein ins Stocken geratener Benzinmotor genauso musikalisch wie ein Instrument. In ihren Kompositionen stösst eine angenehme Entfremdung auf ein erfrischendes Gespür für Humor.

Kollegin Christina Kubisch (1948) geht noch einen Schritt weiter: mit speziellen Sensoren macht sie die uns umringenden elektromagnetischen Felder hörbar. Muziekgebouw aan ’t IJ bat die beiden zu reagieren auf die Arbeit der Anderen. Das führte zu drei neuen Kompositionen, die vom Nieuw Ensemble uraufgeführt werden am 9. Februar 2017 im Muziekgebouw aan ’t IJ, Amsterdam.

Bauckholt und Kubisch beantworteten mir ein Paar Fragen.

Was charakterisiert Sie als Komponist?

Bauckholt:

Meine Neugierde ist ein starker Motor. Wenn ich schon weiß wo es hin geht, dann fühle ich mich überflüssig, auch als Hörerin. Deshalb probiere ich Klänge und Zusammenhänge aus, die ich so noch nicht erlebt habe.

Am Anfang steht immer Etwas, was mich fasziniert und was ich nicht begreife. Mich interessiert auch unsere Wahrnehmung, zum Beispiel wenn Menschen das Gleiche hören, aber es ganz verschiedene Gedanken und Assoziationen auslöst. Es ist faszinierend dass sich die Musik nicht fassen lässt. Deshalb versuche ich immer wieder das zu verstehen.

bauckholt-nieuw-ensemble

Carola Bauckholt (site MGIJ)

Kubisch:

Ich habe Malerei, Mu­sik und auch zwei Jahre Elektrotechnik studiert. Aus dieser Perspektive realisiere ich nicht nur Mu­sik son­dern auch In­stal­la­tio­nen, Performan­ces, Zeich­nun­gen, Walks und Videos. Mei­ne Ar­bei­ten ha­ben sehr oft ei­nen kon­kre­ten Be­zug und set­zen sich mit bestimmten Or­ten aus­ein­an­der.

Ausgangspunkt ist dabei eine genaue Re­cher­che und Feld­for­schung. Mich interessiert die Integration verschiedener Medien, wobei mich das Verhältnis zu unser zunehmend digitalisierten Welt besonders beschäftigt.

Carola Bauckholt, Ihr neues Werk heißt ‘Point of Presence’. Warum dieser Titel und wie verhält sich das Stück zum Schaffen der Christina Kubisch?

Mich hat die Arbeit von Christina Kubisch sehr begeistert. Zum einen die elektromagnetischen Klänge selbst, die uns ständig umgeben und die sie mit speziellen Mikrofonen hörbar macht. Zum anderen wollte ich aber auch mehr über ihre Musikalität erfahren, wie sie mit diesen Aufnahmen umgeht.

Ich habe mir aus ihrem riesigen Fundus 12 Klänge ausgesucht, die ich für das Nieuw Ensemble instrumentiert habe. Der Titel Point of Presence beschreibt zum einen die starke und immer stärker werdende Präsenz der unsichtbaren und unhörbaren elektromagnetischen Felder, die uns umgeben.

Zum anderen deutet dieser Begriff konkret hin auf einen Knotenpunkt innerhalb eines Kommunikationssystems. An diesem Point of Presence werden die Verbindungen für den Daten- und Sprachverkehr von den verschiedenen Vermittlungsstellen zusammengeführt. Es ist interessant, wo die vielen Ebenen der Gegenwart zu finden sind.

Christina Kubisch (site Certain Sundays)

Christina Kubisch (site Certain Sundays)

Christina Kubisch, Sie schrieben gleich zwei neue Stücke: ‘Wien Landstraße’ und ‘Seven Magnetic Places’. Wie reflektieren diese auf die Musik der Bauckholt?

In Carolas Kompositionen treffen oft verschiedene Welten zusammen: die der instrumentalen Musik und die des Geräusches, des field recordings, manchmal auch Sprache oder Video. Dieses Zusammentreffen realisiert sie in ihren Stücken in einer sehr persönlichen musikalischen Sprache, oft mit subtilem Humor, die mich aufgrund ihrer Originalität von Anfang an interessiert und fasziniert hat.

Unsere Grundidee für eine Zusammenarbeit war unsere Klänge auszutauschen und dann zu remixen. Wien Landstraße ist ein Stück für Zuspiel und string ensemble. Von Carola verwende ich kurze, rein instrumentale samples aus verschiedenen ihrer Kompositionen, die in neuen Kombinationen erscheinen. In anderer Besetzung, in neuen Abfolgen, Überlagerungen, als loops, in veränderter Dynamik und Dauer.

Diese Ausschnitte verbinden sich in dem Stück mit den elektromagnetischen Klängen des Untergrundbahnhofs ‘Wien Landstraße’ in Wien. Da habe ich in den letzten beiden Jahren mehrmals die magnetischen Felder mit einem speziellem Induktionskopfhörer aufgenommen.

Die samples sowie die magnetischen Klänge wurden nicht elektronisch bearbeitet. Verschiedene Realitäten treffen aufeinander und verbinden sich zu einer neuen Einheit, bei der man manchmal nicht mehr erkennt, was Instrument und was elektromagnetischer Klang ist.

In Seven Magnetic Places geht es wie in Carolas Point of Presence um Datenströme, ohne die wir heute nicht  mehr auskommen können. Sie begegnen sich und Fließen dann in eine andere Richtung. Sie sind überall gegenwärtig. Die Aufnahmen wurden in verschiedenen Rechenzentren und Server rooms in Europa und den USA gemacht.

Wie seid Ihr vorangegangen?

Bauckholt:

Ich habe viel die Aufnahmen von elektromagnetischen Klängen von Christina gehört und mir dabei vorgestellt, wie sich das instrumentieren lassen könnte. Natürlich ist das unmöglich, aber diese Klangfelder sind so anders als unsere normale Musiksprache. Es ist ungeheuer reizvoll diese Klänge im Konzertsaal zu hören, von normalen Instrumenten gespielt. Erstaunlicherweise sind sie manchmal sehr harmonisch und rhythmisch, als ob sie bereits komponiert worden sind. Ich bin sehr gespannt, wie das live klingen wird.

Kubisch:

Ich habe mir von Carolas Aufnahmen Teile ausgesucht, die eigentlich nicht im Mittelpunkt ihrer Stücke stehen, sozusagen die versteckten Schätze ihrer Kompositionen. Mich interessieren besonders Klangfarben und deren Wahrnehmung. Für mich war es neu, instrumental genau notierte Klänge mit den elektromagnetischen Aufnahmen zu kombinieren, die oft bei der Aufnahme durch intuitive Körperbewegungen strukturiert werden.

Im Grunde geht es uns beiden wohl darum, das Bekannte in einen anderen Kontext zu setzen, der Fragen aufwirft und vielleicht unsere normalen Hörgewohnheiten verändert.

Am Dienstag 7 Februar gibt es eine öffentliche Probe im Muziekgebouw,
davor spreche ich mit den beiden Komponisten.
Anfang 12.30 Uhr, Eintritt frei auf Reservierung.

In 2012 sprach ich Carola Bauckholt bevor ein Porträtkonzert im Muziekgebouw aan ‘t IJ des Ives Ensemble

Interview Carola Bauckholt from Radio4 Eigentijds on Vimeo.

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About Thea Derks

I am a Dutch music journalist, specializing in contemporary music, and a champion of women composers. In 2014 I wrote the biography of Reinbert de Leeuw (3rd edition in 2020) and in 2018 I published 'Een os op het dak: moderne muziek na 1900 in vogelvlucht'.
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